Jedes Jahr ruft dieses Datum tief in mir eingebrannte Emotionen und Erinnerungen hervor. Sie werden zwar jetzt von Jahr zu Jahr schwächer, aber verlieren werde ich sie nie.
Der 22.04.2005 war auch ein Freitag. Mein Gynäkologe bestellt mich zur Kontrolle ins KH, da er ein „komisches Gefühl“ hatte. Dazu müsst ihr wissen, dass ich mich am 15.04.2005 einer Curettage unterziehen musste. Ich hatte starke Unterleibsschmerzen und so wurde am Ultraschall erkannt, dass mein Baby (medizinisch korrekt Embryo) in der 8. SSW keinen Herzschlag hatte und leider entfernt werden musste. Nach diesem Eingriff ging es mir körperlich erstaunlich schnell gut. Psychisch leider gar nicht. Ich dachte mir auch nix dabei, dass ich immer wieder stärkere Blutungen nach diesem Eingriff hatte. Daher war ich auch sehr überrascht, als mich mein Arzt anrief und mich bat so schnell wie möglich ins KH zu kommen, da er eben „komisches Gefühl“ hatte.
Die nächsten Ereignisse laufen bei mir stets wie in einem Film ab … Wir fahren ins KH – ganz unbedarft und ohne schlimmen Gedanken. Wir warten. Wir werden aufgerufen. Ich liege am Untersuchungsbett und mein Arzt macht einen Ultraschall. Mein rechter Einleiter. Ich sehe mein Kind. Ich sehe das Herz schlagen. Das Würmchen bewegt sich hin und her und das Herz schlägt klar und deutlich und so stark. Ich setze mich auf. Mein Arzt sagt ruhig zu mir „Es tut mir so leid. Aber wir müssen so schnell wie möglich operieren. Das Kind sitzt im Eileiter. Sie können es leider nicht austragen. Der Eileiter wird platzen und sie können in Minuten verbluten.“ Ich höre seine Worte. Es ist wie in einem Traum, einem Nebel. Ich versuche aufzustehen. Meine Beine geben nach. Ab dann bin ich wie in Trance. Ich funktioniere nur mehr. Wir fahren kurz nach Hause, um Sachen fürs KH zu holen. Meine Eltern sitzen beim Mittagessen (damals wohnten wir noch zusammen). Ich gehe zu ihnen und sage ohne jede Emotion „Ich muss ins KH und werde operiert.“ Ich gehe wieder und lasse meine Eltern mit fragenden Augen zurück. Wir sind im KH. Ich liege im Bett im Zimmer auf der Gyn. Ich muss warten, da ich nicht ganz nüchtern war und die Ärzte nichts riskieren wollen. Ich komme in den OP. Ich liege am OP-Tisch. Es ist kalt. Tränen. Ich sage zu einer OP-Assistentin, die hinter mir sitzt „Es tut mir so leid, dass ich euch allen den Freitagabend versaue.“ Sie beugt sich über mich und streichelt mit einer so wunderbar weichen und warmen Hand meine rechte Wange (ich spüre diese Berührung bis heute) und sagt ganz sanft „Das tust du nicht. Wir sind für dich da.“ Es wird warm. Ich schlafe ein.
So viele Jahre habe ich mir gewünscht damals eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht zu sein. So viele Jahre habe ich Gott angefleht die Zeit zurückzudrehen und mich anstelle meines Kindes zu nehmen. So viele Jahre fühlte ich mich als Mörderin meines eigenen Kindes, dessen Herz so stark schlug.
Es ging mir nach dieser OP dreckig. Physisch als auch psychisch. Ich lag am Boden und wollte nicht mehr aufstehen. Fühlte mich unfähig. Jede Frau, die ich kannte, bekam Kinder und ich konnte weder hormonelle Hilfen weder schwanger werden noch war in der Lage ein Kind auszutragen. Mein Körper erholte sich langsam. Meine Seele weinte weiter.
Heute erkenne ich langsam, dass diese dunkle Zeit mich zur Spiritualität geführt hat.
Im Mai 2020 ließ ich mir mein Tiger Tattoo mit den zwei Schmetterlingen stechen. Als Erinnerung und Gedenken an Nora und Vera. Nora ist der blaue Schmetterling und war 8 Wochen lang in meiner Gebärmutter. Vera ist der violette Schmetterling. Das Würmchen, dass 9 Wochen in meinem rechten Eileiter verbrachte, ehe sie ihr Leben für meines gab und wieder ins Licht zurückkehrte.
Eine Schamanin sagte einmal zu mir „Deine beiden Töchter waren in dir, weil sie etwas ganz Bestimmtes gesucht haben und nur du hast es besessen. Als sie es hatten konnten sie wieder gehen und weiterziehen.“
Ich weiß nicht warum, aber für mich sind und waren es immer 2 Mädchen. Ich gab ihnen die Namen Nora und Vera. Sie sind und bleiben immer in meinen Gedanken und in meinem Herzen. Jedes Jahr am 15. und 22. April kommt Traurigkeit hoch und auch noch Wut. Aber all das wird leichter und eine Art von Demut und Dankbarkeit stellt sich ein.
Jetzt bin ich Mutter von 2 wundervollen Söhnen. Tief in mir drinnen bin ich aber auch Mutter von 2 Töchtern. Oft blicke ich in den Himmel, so wie der Tiger an meinem Unterarm und schenke Nora und Vera ein Lächeln.
Verbunden in immerwährender Liebe und in Sehnsucht, dass unsere Seelen irgendwann wieder zusammenfinden und zusammen sein können.
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